Aderlass

Ich schreibe gerne, am liebsten schönes. Sexy stuff. Kinky stuff. Die schönen Seiten des Lebens. Schreiben hilft mir aber auch manches zu verarbeiten, Gefühle endlich ziehen zu lassen. Dies hier ist so ein Beitrag.

Content warning: Gedanken zu Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch, Angst vor Suizidgedanken

Die letzten Monate waren turbulent.

Twin und ich schlitterten langsam in eine Beziehungskrise, aus der wir uns noch immer herausarbeiten. Die neuen Partner:innen ins Polykül einzubinden stellte und stellt uns bis heute vor kommunikative und emotionale Herausforderungen. Dazu belasten uns berufliche Themen, neben Liebe und Kink gibt es ja auch noch das andere Leben. Ich möchte hier nicht zu sehr ins Detail gehen, das ist unsere Angelegenheit. Nur so viel: Wir kämpfen um uns, das kostet Kraft, aber wir sind auf einem guten Weg.

Und dann passierten da Dinge, die den Weg nicht leichter machten. Anfang Februar durfte ich die wundervolle Erfahrung machen, durch die Pille danach aus meinem normalen Gefühlsspektrum katapultiert zu werden. Wow. Die Tage danach waren heftig, ich fühlte mich fremd, stand neben mir, meine Arbeitskolleg:innen überlegten sich zweimal, ob sie mich anrufen sollten, ich war sehr schnell sehr angry. Ich war nicht ich. Nach ein, zwei Wochen fühlte ich mich normaler, was blieb, war die Angst vor einer Schwangerschaft.
Ich möchte keine Kinder, und im Gegensatz zu meinem Ich von vor knapp 20 Jahren, das auch schon mal diese ganz bestimmte Sorge hatte, war ich mir diesmal sehr schnell klar: ich würde einen Abbruch vornehmen lassen. Aber das ist trotzdem keine leichte Entscheidung für mich. Ich bin mir ziemlich sicher, ein Abbruch würde in meiner Seele tiefe Spuren hinterlassen. Von meiner Seite aus die Beziehung zu dem anderen biologischen Part vermutlich belasten. Streicht das “vermutlich”, ich wäre danach erstmal ein seelisches Wrack auf der Flucht.
Ich kaufte Schwangerschaftstests. Die Idee, den Test beim Ausbleiben der Periode zu machen, funktioniert bei einer regelmäßigen Regel, die ich schon vor meinen 20 Jahren hormoneller Verhütung (davon schon sehr viele Jahre ohne die monatliche Pillenpause) nie hatte, und die Hormonbombe alias Pille danach bringt nochmal alles aus dem Gleichgewicht. Also Recherche… 21 Tage nach der eventuellen Befruchtung sollte man verlässlich testen können. Also drei Wochen warten und dann der erste verlässliche negative Test. Sex sowieso immer mit Kondom, aber jetzt mit noch mehr Vorsicht. Was leider trotz des negativen Ergebnisses blieb war die Angst, dass irgendwas nicht stimmte, mit den Tests, mit mir. Und so wurde bis zum Einsetzen meiner ersten Blutung nach der Pille danach der wöchentliche Schwangerschaftest zur Routine. Neun Stück waren es am Ende, dabei waren mindestens zwei Tests an Tagen, an denen ich mir so, so sicher war, dass da ein zweiter Strich erscheint. Ich roch anders, fühlte mich komisch. Aber ich hatte Glück, die Tests blieben negativ. Und trage seit einer Woche eine Kupferkette, damit mir das nicht nochmal passiert. Nebenbei: Spannend, wie schnell sich eine Meinung unter ausreichend Druck ändert. Ich habe so lange gegrübelt, ob ich die Kupferkette möchte, war am Ende bei “ne, lieber nicht”. Und änderte meine Meinung noch auf dem Weg zur Notfallapotheke weil holy shit, kroch da Angst in mir hoch.

Im Nachhinein war das der Abend, an dem ich einen Teil von mir abtrennte, in eine Kiste wegschloss, mit dem Schlucken dieser Pille. Ich öffnete gelegentlich diese Kiste, fühlte kurz die Angst, roch die Panik, und schloss den Deckel wieder. Schlussendlich konnte ich nichts tun, außer warten. Warten, ob sich da in mir etwas einnistete. Also zog ich mich auf eine Meta-Ebene zurück, suchte Abstand zu meinen Gefühlen. Recherchierte zwischendurch nach dem offiziellen Vorgehen und Beratungsstellen, aber immer nur in kleinen Häppchen. Ich arbeitete an diesem Themenkomplex nur in kleinen Portionen, hielt so meinen Kopf von zu viel Grübeln ab, von Fluchtgedanken, Trennungsideen, bereitete mich dennoch mental darauf vor, im Falle eines Abbruchs zeitnah alle Notfallhebel in Bewegung zu setzen, falls ich psychiatrische Hilfe bräuchte. Ich sah meine Angst, und vor allem die Angst vor der Angst.
Von außen betrachtet wirkt das vermutlich ziemlich bescheuert. Warum so viele Tests, warum so viel Aufheben machen, trotz allem so viele Gedanken, dafür dass ich mir eigentlich wenig machen wollte. Ich hatte Angst vor mir. Wollte mich absichern, gegen mich. Hatte die Befürchtung, dass ich eine Entscheidung treffen musste, die mich am Ende einer Kette von selbstzerstörerischen Gedanken (wieder) zu der vermeintlich sehr sachlichen Erkenntnis bringen könnte, dass mein Leben so nicht funktioniert und es schlicht klüger wäre, ich wäre nicht mehr da. Been there. Und hatte mir geschworen, dass mir das so nicht nochmal passiert. Ich hatte also eine große Kiste voller extremer Gefühle, handle with care, während ich möglichst normal durch meinen Alltag ging.

Der Alltag.
Beziehungsarbeit.
Events.
Eine Trennung im Polykül.
Persons of Interest im Umfeld des Polyküls.
Nicht so schöne gesundheitliche Nachrichten aus der Familie.
Eine Zungenspaltung mit Heilphase danach.
Berufliche Veränderungen.

Letzte Woche, endlich, die Blutung. Pünktlich zum Einlegen der Kette. Das passte sehr gut, der Eingriff soll dann weniger schmerzhaft sein. Einige Tage Schmerzen und Blut, intensiver, stärker als sonst, aber es fühlte sich an wie ein Reset. Mein Körper gehörte wieder mir, nach dieser emotionalen Achterbahnfahrt. Ich fühlte mich wieder Zuhause. Und jetzt kann ich endlich diese Kiste öffnen, kann die Gefühle darin herausnehmen, begreifen, mir ansehen und ziehen lassen. Kann selber verstehen, wie ängstlich ich war, wie distanziert, und dadurch unfähig mich zu entspannen. Das dauert seine Zeit. Auch wenn diese ganzen Gefühle so… leise, fast unsichtbar in mir passierten, ich war in einer emotionalen Ausnahmesituation und wollte es mir nicht so wirklich zugestehen. Konnte es nicht. Manche Ängste sind dann doch zu groß, zu speziell, zu ungewohnt, um sie direkt anzugehen. Aber es ist OK, für jetzt, hier und heute. Ich erhole mich langsam, das spüre ich. Da ist wieder ein Ansatz von Ruhe in mir, echter Ruhe. Und das tut so gut ❤️

 

 

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