Selbstzweifel und Glaubenssätze – Losing My Religion

In Anlehnung an diesen Status:

Mein größtes Learning bei dem Polyding war, wie wichtig neben der Kommunikation nach außen (Reden, reden, reden!!!) auch die eigene Stabilität nach innen ist. Und es tut so gut, dabei immer weiter zu wachsen und das auch wahrzunehmen.

Wachsen bedeutet in diesem Fall Kämpfen. Wieder und wieder.

Die meisten von uns sind sich im Klaren darüber, dass Beziehungen Arbeit bedeuten. Nicht nur, klar, aber auch. Communication skills und Selbstsicherheit fallen in den meisten Fällen nicht einfach vom Himmel und eine gesunde, für alle beteiligten Personen glückliche Beziehung wächst und gedeiht am Besten unter aufmerksamer Beobachtung und gelegentlicher Anpassung der Umstände. Das wird zumindest in meiner Wahrnehmung schwieriger, je mehr Menschen in diesen Beziehungen beteiligt sind.

Wir leben jetzt seit bald einem Jahr in einer Polykülstruktur. Ich bin sehr froh darüber, sagen zu können, dass wir in diesem Jahr besser geworden sind in diesem Konzept, in unserem Umgang mit uns selbst und miteinander. Aber es gibt da auch sehr, sehr hartnäckige pain points, die uns das Leben schwer machen. In meinem Fall sind das Glaubenssätze aus meiner Vergangenheit, die mich immer wieder an allem Zweifeln lassen.

  • Meine Eltern waren leider nicht gut darin, mich zu bestärken. Stattdessen haben sie mir beigebracht, Fehler immer als erstes bei mir zu suchen und meiner eigenen Wahrnehmung zu misstrauen. Ich dachte lange, ich fühle erstens falsch und zweitens zu viel. Ich kann das nicht nachvollziehen. Stell dich nicht so an. Du übertreibst. Du bist viel zu empfindlich. Sei nicht so mimosenhaft.
  • Das Konzept der monogamen Beziehung funktionierte für mich nicht besonders lange. Schon meine zweite Beziehung (ich war ca 18) hatte Poly-Aspekte. Damals nannten wir das noch “offene Beziehung” und wir konfrontierten unseren Freundeskreis mit unseren Ansichten, dass man auch zwei Partner haben darf, was auf Unverständnis traf. Du bist so egoistisch. Es geht nur um dich, um deinen Willen.

Diese Dinge klingen bis heute in mir nach und verzerren meine Wahrnehmung, gerade bei Beziehungskonflikten.
Der eine große Konflikt für mich ist das Gefühl, dass ich das mit meinen Beziehungen falsch mache. Dass ich meine Partner:innen in etwas zwinge, ein Beziehungskonstrukt, das sie eigentlich gar nicht wollen, ohne mich nicht hätten. Ich bin das verbindende Element, ohne mich hätten diese Menschen nicht viel miteinander zu tun. Einfach so wäre zwischen ihnen keine Verbindung, es liegt an mir. Und wenn es zu Spannungen in diesem Polykül kommt, fühle ich mich schuldig. Weil ohne mich wären diese beiden Menschen unabhängig voneinander. Sie pressen sich meinetwegen in ein Leben, das keine von uns so geplant hat. Und vielleicht sollte ich einfach gehen, weg von beiden, ist solo poly nicht auch eine Idee? Ich fühle mich in diesen Momenten wie in einem Dilemma, fühle mich zerrissen, ich könnte gehen, unangeachtet davon, dass ich keine von beiden verlassen möchte, aber vielleicht wäre es besser für sie. Dann können sie ohne mich weitermachen, und jemanden finden, der sie wirklich liebt, und nicht nur glaubt, dass er sie liebt (Deine Gefühle sind nicht echt. Nicht richtig. Nicht wahr.) weil sie es gerne so hätte (Du möchtest einfach nur dieses schöne, bequeme Leben mit diesen tollen Menschen und es muss ja immer nach deinem Willen ablaufen.)

Es gelingt mir nicht immer, mich aus dieser Denkspirale auszuklinken. Aber ich habe mittlerweile einen Ansatzpunkt der funktioniert, einen Knopf, auf den entweder ich selbst oder einer meiner Menschen drückt.
Dafür greife ich nochmal auf diesen Gedanken zurück:
“Sie pressen sich meinetwegen in ein Leben, dass keine von uns so geplant hat.”

Wie lächerlich ist dieser Gedanke, gerade wenn man diese tollen Menschen kennt. Sie sind weder mir, noch ihren Gefühlen zu mir, hilflos ausgeliefert. Diese beeindruckenden, cleveren Menschen treffen eigene Entscheidungen. Und ich muss diese Entscheidung für mich nicht verstehen, aber akzeptieren und nicht ständig hinterfragen wäre vermutlich ganz nett. Egal wie unsicher ich mir selbst gegenüber bin, sie sind es nicht, und nur weil ich die Sorge habe, für diese Menschen eine Fehlentscheidung in ihrem Leben zu sein, dürfen sie das anders sehen.
Und “das war so nicht geplant” ist angesichts meiner eigenen Erfahrungen echt unsinnig. So what. Life is bigger. Ich bin so dankbar, dass die Pläne, die ich als junge Erwachsene hatte, für mich nicht funktioniert haben. Stattdessen lebe ich in einem anderen Teil der Welt mit einem anderen Job mit einer beeindruckenden Frau in einer Wohnung voller Katzen (ok, das war schon immer der Plan), Chaos (das war zu erwarten) und Kink (fuck, yeah), darf mich von weiteren wunderbaren Menschen geliebt und begehrt fühlen, und bewege mich in genau dem Umfeld und auf solchen Veranstaltungen, die ich mir als junger Mensch erhofft habe.

Eigentlich müsste der Satz lauten:
“Sie entscheiden sich jeden Tag neu für ein gemeinsames Leben mit mir.”

Sie entscheiden sich jeden Tag neu für ein gemeinsames Leben mit mir.

Sie entscheiden sich jeden Tag neu für ein gemeinsames Leben mit mir!!

Und ich werde mir diesen Satz so oft sagen, notieren, ins Gedächtnis rufen und ins Gedächtnis rufen lassen, wie es eben nötig ist.


Wie sagte eine sehr kluge Freundin letztens:

[Poly] Ist ein Prozess. Poly ist schwierig und manchmal super einfach.

Und ja, es ist genau das und beinhaltet so viel an Höhen und Tiefen. Wie sehr kann es mich zerlegen, in diesen schwachen Momenten, und bis in mein Innerstes verunsichern, einfach weil diese geballte Menge an positiven Gefühlen mir gegenüber bei mir schwierige Knöpfe drückt. Aber wie wunderschön sind diese tollen Momente, mit diesen Menschen gemeinsam, umgeben von diesen positiven, warmen Gefühlen <3 Die Frage ist: wollen wir. Und hier und heute wollen wir.

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