De-Armoring

Ich weiß, ich wiederhole mich, wenn ich sage, dass Shibari, nein, eigentlich BDSM im Ganzen etwas mit einem machen kann. Mehr als Lust, mehr als Spaß, es geht mehr in die Tiefe und unter die Haut. Wir haben gestern nach langer, langer Zeit mal wieder gefesselt. Geplant war ein Pärchenabend, Twin und ich, und das wurde es auch, aber anders als geplant.

Dies ist kein lustvoller Eintrag, im Gegenteil. Uff, ich war schlecht drauf. Und hatte auch einfach keine Lust, abends dann auf Knopfdruck fröhlich, entspannt und bereit für gechilltes oder erotisches oder irgendein Fesseln zu sein. BDSM geht bei mir auch fröhlich, klar, aber nicht, wenn man, und das schließt mich mit ein, diesen Bereich meiner Selbst monatelang vertrocknen lässt. Und das taten wir, wir trockneten beide in diesem Punkt aus. Wir sind nicht die Zu-Hause-Spieler, wir brauchen Partys, brauchen die Musik, die Lust der anderen Menschen, die Vibration, die Atmosphäre. Corona erstickt uns langsam und leise, erstickt unsere Lust, unser Leben. Und so nehmen wir uns regelmäßig vor zu Spielen, zu Fesseln, und enden dann doch eher vor Netflix oder dem PC, einfach weil… achja. Es is halt einfacher. Und die Hürde wird wieder höher, die es zu überspringen gilt.

Wenn ich meinen Masochismus nicht bediene wird er erst sehr stark und verschwindet dann langsam unter einem Panzer. Da tut er nicht weh, er ziept nicht, ich spüre dieses Bedürfnis nur, wenn man es mir schon sehr gezielt unter die Nase hält. Und das galt leider nicht nur für meinen Masochismus, sondern auch für das große Ganze, für die Lust an der Liebe, an Körpern. Wenn ich sie nicht bediene, verblasst sie. Und ich habe sie nicht bedient, sehr lange nicht.

Gestern Abend. Nach einem Tag mit schlechter Laune, mit Gemecker und Meeeehhhh. Ich wollte nicht reden, nicht vermissen, nicht fühlen. Doch Twin ließ mich meckernd im Bett liegen und begann langsam mit dem Fesseln. Einfach so, über den Klamotten, erst locker, dann fest. Der Panzer riss nach wenigen Minuten, die erste Träne rollte nach nur wenigen Sekunden. Shibari wirkt bei mir instant als seelischer Dosenöffner.

Dabei ging es gestern garnicht um Shibari an sich. Das Seil tat weh, klar, aber das war es nicht. Ich konnte ihrer Berührung nicht standhalten. Dieser Annäherung trotz meinen Versuchen, sie den ganzen Tag über wegzuschieben. Und weil ihre Berührungen ein anderes Thema weckten, über das ich so garnicht reden wollte. Unsere Beziehung. Das Maß an Intimität, die zwischen uns herrscht. In wie weit wir uns auf den anderen einlassen, körperlich. Seit Monaten ein Thema, seit Monaten umschifft, aus Angst, was eine Veränderung bedeuten würde, seit Monaten ein anhaltender Schmerz, Fragen, Hoffnungen, Sehnsüchte, doch vor allem eben Angst. Und daraus resultierend: Stillstand. Aber ist Stillstand an einem schönen Ort nicht besser als Fortbewegung ins Unbekannte und diese Frage ist reine Rhetorik, weil ich weiß: Stillstand gibt es nicht. Und: Wenn der schöne Ort nur schön ist, solange man nicht hinter die Kulissen blickt, ist der schöne Ort nicht wirklich schön. Und auch hier trocknete zumindest ich an allen Ecken und Enden langsam aus.

Wir weinten. Wir redeten. Meine Gefühle flippten durch alle Farben, durch Liebe, durch Aufgabe derselben, durch Fluchtgedanken und “Aber es ist doch ok, wie es ist” mit dem Wissen, dass das glatt gelogen ist, aber sich doch so nett anhört. Wir redeten. Stellten fest, wie feige wir waren, das ganze Thema totzuschweigen. Wir überlegten uns zumindest einen ersten Schritt und kamen wieder zur Ruhe. Der Abende endete mit zwei winzigen Gläsern Alkohol, einer Tüte Chips und Fight Club auf der Couch, und das war perfekt in diesem Moment. Ich musste mich erstmal wieder neustarten, wieder normal fühlen. Wo uns das ganze hinführt werden wir sehen. Ob sich etwas ändert, besser: ob wir uns ändern? Ich weiß es noch nicht. Aber ich hoffe, wo immer es hin geht, es ist schön da.

Ein Gedanke zu „De-Armoring“

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