Nach einem Gespräch in der letzten Nacht hatte ich das Bedürfnis, mein eigenes Poly, meine Bedeutung und Idee davon, zu notieren. Außerdem gab es in letzter Zeit auf Twitter Diskussionen zu diesem Thema und eventuell streife ich noch einen leichten Rant. We will see.
Erstmal möchte ich eine Abgrenzung vornehmen. Ich unterscheide zwischen einer traditionellen Beziehung (monogam), den offenen und einer Polybeziehung.
- Traditionell heißt, man hat einen Partner an seiner Seite. Und auch wenn man sexuell vielleicht offen ist, gemeinsam in den Swingerclub geht oder mal einen dritten Spieler einlädt,es geht um das gemeinsame dabei.
- Eine Offene Beziehung lässt dem einzelnen mehr Spielraum, da geht man auch mal alleine in einen Club, hat vielleicht andere Spielpartner (das Konzept ist im BDSM sehr verbreitet, gerade wenn der eigene Partner nicht die passenden Vorlieben teilt), aber es ist klar, dass der emotionale Partner der eine Herzmensch ist.
- Polyamorie: Der Begriff setzt sich aus dem griechischen Poly (viele) und dem lateinischen Amor (Liebe) zusammen, es bezeichnet eine Beziehungsform, in der ein Mensch mehrere andere Menschen liebt. Hier geht es neben den einzelnen Beziehungen auch um übergeordnete Beziehungskonstrukte (oder wie ich sie nenne die Polymatrix). Hier gibt es mehrere Herzmenschen und es können ganze Großfamilien entstehen durch mehrere Partner und die Partner dieser Partner (Metamours genannt).
Wie man diese unterschiedlichen Lebensarten genau gestaltet, lässt sich nicht beschreiben, es gibt so viele Versionen wie es Menschen gibt, jeder lebt und fühlt ein bisschen anders, für den einen ist das eine Normal und für den anderen ist genau das sehr seltsam. Daher ist das auch eine sehr grobe Einteilung. Was für mich entscheidend ist, ist die emotionale Bindung zwischen den Personen: geht es um mögen, um gerne haben, oder geht es um Liebe? Da läuft für mich eine Grenze, wenn auch eine schwer zu fassende.
Warum jetzt ausgerechnet Polyamorie?
Ich hab mir das nicht ausgesucht. Ich finde den Begriff auch nur bedingt passend bei mir, ich bin irgendwie zwischen Offen und Poly, würde ich sagen. Aber ich fühle für eine Offene Beziehung zu viel und hadere bei der Poly-Verbindung mit den Gefühlen, die man mir entgegenbringt. Außerdem betrifft das Poly-Sein in meinem Konstrukt in erster Linie mich, ich verbinde als Knoten verschiedene Menschen, die sich selbst vermutlich nicht als Poly bezeichnen würden, die eher offene Beziehungen führen oder neben einer vermeintlich monogamen Beziehung heimlich handeln.
Aber klar ist: ich mag nicht nur, ich liebe häufig. Ich vermisse auch, gerade in den ersten Tagen nach einem Treffen, sehr, sehr schmerzhaft. Gleichzeitig möchte ich weglaufen, wenn mir jemand erklärt, dass sich Gefühle für mich entwickeln. Sofort entstehen da Ängste: wenn ich ihn verletze mit meinem Verhalten, Eifersucht wecke, jemandem wehtue? Oder wenn er verlangt, dass ich die anderen Beziehungen beende? Die oberste Maxime ist: wir tun das, weil es uns glücklich macht. Es soll uns nicht verletzen, aber sowas gehört wie in jeder Beziehung einfach dazu. Es wäre mir am liebsten, ich dürfte lieben und könnte das andersrum einfach ausknipsen, aber nunja… geht nicht. Ergo muss ich da durch. NHD hat Monate gebraucht, bis mir sein “Ich liebe dich” nicht mehr spontanes Herzstolpern verursacht hat. Aber jetzt geht es und ich kann es annehmen <3 Aber hinter diesem “ich kann es annehmen” steckt sehr viel Arbeit. Wir reden, reden, reden. Diskutieren. Weinen auch manchmal. Gehen an emotionale Grenzen und auch darüber, wenn es sein muss. Das ist anstrengend und schwierig. Es geht immer wieder um die Frage, wie offen man dem anderen gegenüber sein kann und muss. Welche Gefühle kann ich bei ihm auffangen, bin ich in der Lage, den Stress, den Frust meines Partners abzufangen, darf und schaffe ich es auch, mich mit meinen Gefühlen an ihn wenden? Jetzt bin ich jemand, der da einfach vorsichtig ist. Ich fühle mich kompliziert und nur schwer zu ertragen, ich fange gerne auf, aber ziehe mich zurück, wenn es darum geht, dass man mich auffängt, bilde mir ein, dass ich in erster Linie andere verletze und nicht heile oder zu ihrem Glück beitrage. Aber das muss ich lernen. So wie ich Verantwortung übernehme, muss ich sie auch abgeben können.
Vielleicht reagiere ich deswegen so genervt und verletzt, wenn man mir erklärt, dass Polyamorie doch nur eine nette Ausrede ist fürs Fremdvögeln mit Erlaubnis, dass es dabei trotzdem immer Täter und Opfer gibt und man sich lieber trennen sollte. Herrgott, was für eine eingeschränkte Sichtweise! Würde ich Fremdvögeln wollen wäre mir die Erlaubnis vollkommen egal und ich würde mir weniger den Mund fusselig reden. Ich müsste keine Verlustängste und Eifersucht schieben, und zwar nicht nur einmal, sondern für jeden Partner in dieser Matrix. Wisst ihr, wie kompliziert das ist, wenn da jemand neues auftaucht? Wenn da zum Beispiel ein Rigger auftaucht, mit dem es wirklich gut läuft, mit dem man mal eben ein paar mal in der Woche fesselt, bei dem es noch nicht mal ums Vögeln geht? Was sagt Andy dazu? Hoffentlich fühlt er sich nicht zurückgesetzt und glaubt, er wäre mir nicht mehr wichtig. Und Twin? Wie wird es ihr gehen, wenn ich auf der GEP vielleicht nicht mit ihr spiele, sondern mit dem neuen Rigger? NHD, ohje, ich rede eh schon ständig nur vom Fesseln… ich muss ihm demnächst mal deutlich sagen, dass er als Nicht-Rigger bei mir keinen Boden verliert. Und der neue Rigger? Ist er bereit, all das zu akzeptieren? Dass es da andere gibt, die mir genau so wichtig sind? Wenn wir gemeinsam mit Andy oder Twin fesseln, wird es für ihn in Ordnung sein, dass ich mich so tief fallen lasse, oder werde ich ihn damit verletzen? Aber natürlich, Poly ist der einfache Weg zum Fremdvögeln… schon klar. *hier erregtes Gefuchtel einfügen*
Für mich ist das emotional anstrengend, aber sehr lohnenswert. Ich habe da viele tolle Menschen in meinem Leben, viele Einflüsse, ich lerne unwahrscheinlich viel über sie und auch über mich. Es geht mir die meiste Zeit sehr gut damit und es fühlt sich für mich sehr stimmig an, stimmiger als eine monogame oder offene Beziehung. Ich darf und kann lieben, darf mich fallenlassen und vertrauen, kann mich dabei sicher und geborgen fühlen. Und genau dafür mache ich das.
Das * im Titel: Der Titel ist eine Anspielung auf das mit bekannteste Buch zum Thema Poly-Beziehung, “Schlampen mit Moral”, welches ich leider selber zwar besitze, aber nur in Auszügen gelesen habe. Danach habe ich es verliehen und es ist noch unterwegs, aber die Auszüge waren lesenwert.
Liebe Tara, was für eine wundervolle Beschreibung… Ich beneide Dich dafür dass Du dieses Leben …Dein Leben… so führst … und vor allem beneide Ich Dich für Deine innere Stärke, diese so unterschiedliche Gefühlswelten immer wieder neu zu beschreiten. Bleib weiterhin so wie Du bist. Liebe Grüße unbekannterweise.. Ben