Aus persönlichen Gründen war es mir in letzter Zeit ein Bedürfnis, mich mit dem Thema Poly und Beziehungen zu befassen. Es gab und gibt da einfach momentan Veränderungen, ich merkte, dass ich mich einfach wieder mehr öffnete und suchend umsah, mir Menschen und Gefühle fehlten. Mittlerweile gibt es da mehrere Anlaufstellen, denen ich gerne näher kommen möchte, wir schauen mal, ob daraus was wird und ob es passt. Gleichzeitig steht einfach auch Stress im beruflichen Umfeld an, da kann demnächst viel passieren, daher… ja. Viel los im Hause Tara. Aber ich freue mich darüber.
Ich hatte in meiner Twitter-Timeline gefragt, ob ich mich zu bestimmten Aspekten äußern sollte und es kamen Fragen, öffentlich und via Privatnachricht. Die angesprochenen Themen sollten sich zu einem großen Teil im Text wiederfinden.
Die Anfänge meines Polylebens sind dem BDSM geschuldet. Ich war 18 und mit meinem ersten Freund zusammen. Wir waren beide unerfahren, aber mein Interesse an BDSM war sehr groß, das Thema beschäftigte mich seit meiner Kindheit immer wieder. Und so geriet ich im Internet an den Schwarzen Mann, mein erster Spielpartner, und wir trafen uns. Mein Freund wusste davon und erlaubte mir diesen Kontakt. Damals lief das unter dem Begriff offene Beziehung, die Unterscheidung zwischen den unterschiedlichen Arten offener Beziehungen war da bei mir noch nicht so akut. Die Beziehung zu diesem ersten Freund endete mit einer kurzen Phase, in der ich sowohl mit ihm, als auch mit meinem späteren Mann zusammen war. Der Schwarze Mann blieb auch während dieser nächsten Beziehung ein Thema (und danach auch andere Spielpartner) und ich lernte ein wenig über die Konzepte der Polyamorie und die hedonistische Lebensweise. Danach gab es keine geschlossene Beziehungen mehr und ich denke auch nicht, dass das nochmal passiert. Mein Schlüsselerlebnis war die Beziehung zum Noch-Ehemann, der einfach sehr konsequent auf die Meinung anderer scheißt. Davon hab ich mir ein bisschen abgucken können. Ich versuche so zu leben, wie es sich für mich richtig anfühlt. Dabei hilft so eine LMAA-Haltung ungemein, kann ich euch sagen. Es gibt natürlich Meinungen, die mich interessieren, aber es sind wenige. Meine Partner. Meine Mum. Bestimmte Freunde. Die Wissen sehr viel über mich und können sich so auch qualifiziert äußern.
Dabei sieht mein Beziehungsmodell so aus: ich möchte einen Menschen fest an meiner Seite, möchte mit diesem Menschen mein Leben und meinen Alltag teilen, abends neben ihm liegen und morgens mit zu wenig Schlaf vom zu langen Reden aufwachen. Daneben gibt es gerne andere Menschen, Affären, Freundschaften, bevorzugt langjährig und vertraut, es gibt Swingerclubbesuche, das alles aber offen und ehrlich. Bei diesen anderen Menschen kann es um Liebe gehen oder “nur” um Freundschaft, ich bin irgendwo zwischen poly und offen. Aber es gibt eben die eine Nummer eins und der ordne ich die anderen unter. Das bedeutet für mich auch, dass, wenn meine Nummer eins einen anderen potentiellen Partner nicht mögen würde, dieser raus wäre aus dem Konstrukt. In meiner Welt müssen sich meine Partner mögen. Ich weiß, das ist bei anderen nicht so, aber bei mir funktioniert es anders nicht. Andersrum fänd ich es sehr schwierig, wenn mein Partnermensch mit einem anderen Menschen anbandeln würde, den ich nicht gut fände. Ich glaube nicht, dass ich da lange meine Klappe halten könnte. Mi scusi. Da gäbe es immer Reibungspunkte und vermutlich viel Diskussion. Zum Glück hatten wir diesen Fall noch nicht. Das ist so ein worst case-Thema. Via privater Nachricht kam die Frage nach dem Thema Verhütung/Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten im Polykül: es gibt bestimmte Personen, mit denen schlafe ich ohne Kondom. Diese Personen kenne ich sehr gut und sie gehen, ebenso wie ich, regelmäßig zu Tests, um sich die Gesundheit bescheinigen zu lassen. Ja, wie gehen ein Risiko ein, jeder verlässt sich darauf, dass einem der andere keine Syphilis ins Haus schleppt. Und diesem Risiko sind wir uns bewusst. Für alle anderen gilt Kondompflicht. Und nach dem Oralsex mit einem Klaren nachspülen, ihr wisst ja =D
Dennoch habe ich mit dieser Lebensart auch immer zu kämpfen. Ich bin ein eifersüchtiger Mensch, oder passender: ein sehr, sehr ängstlicher Mensch. Hinter meiner Eifersucht steckt meist die Angst davor, diesen Menschen zu verlieren. Sie ist oft ein Ausdruck meiner Unsicherheit, nicht gut genug zu sein als Partnerin im Bett oder auch im Leben. Dass ich ersetzt werde durch jemand besseren. Ich kann aber auch eifersüchtig sein, weil mir etwas fehlt, meist Sex oder auch ein Partner für bestimmte Bedürfnisse, und ich mich darüber ärgere, dass ich aus Unsicherheit (und Faulheit) nicht den Arsch hochkriege, um mir jemanden zu suchen. Ich habe gegen diese Eifersucht noch kein wirksames Mittel gefunden, es hilft nur Kommunikation. Twin und ich reden sehr viel und eben auch gerade über die schmerzhaften Punkte. Das glättet tatsächlich die Wogen, auch wenn es erstmal weh tun kann und man Dinge formulieren muss, die man eigentlich genau nicht formulieren oder hören möchte. Aber es hilft. Man versteht, man beruhigt sich, die Ängste lassen in diesen Situationen nach und man ist sich nahe, gerade weil man sich ja trotz anderer Kontakte nicht verlieren will. Ich habe dabei den Vorteil, dass ich dank meiner langen Beschäftigung mit meiner komischen Borderline-Gefühlswelt sehr genau weiß, dass emotionale Stürme heftig auftauchen, aber auch schnell vergehen können, und ich bin meist in der Lage, das meiner Partnerin zu kommunizieren. Da sitzt dann so ein rationaler Teil von mir neben dem Sturm, der zumindest noch Dinge benennen und ansatzweise erklären kann. “Ok, ich bin extrem sauer/frustriert/traurig und weiß gerade nicht genau warum, bitte entschuldige. Ich brauche gerade Abstand/Zeit/Plüsch um mich zu beruhigen und dann klären wir das.” Das geht leider nicht immer, aber Gott, ist das eine Hilfe =D
Man konnte es auf Twitter schon rauslesen, ich glaube nicht, dass Polyamorie nur eine Frage der Entscheidung ist. Für mich ist das ähnlich wie die Frage nach der Sexualität, ich bin eben bisexuell. Punkt. Und ich bin polyamor, weil ich es eben bin. Doppelpunkt: Ich tendiere dazu, mich sehr schnell zu verknallen. Verlieben möchte ich es nicht nennen, Liebe braucht Zeit, aber Verknallen geht an einem Abend, das wurde mir letztens wieder bewiesen. Und ich vermisse die “Opfer” dann tagelang, danach flaut das Gefühl aber auch meist sehr schnell wieder ab. Das muss nicht romantisch oder sexuell sein, das kann auch rein freundschaftlich passieren. Ich weiß noch gut, wie ich nach einigen Tagen Festival unsere Begleitung so schmerzhaft vermisst habe, dass mein Mann mich damals trösten und auffangen musste. Und in diese Begleitung war ich weder verliebt noch verknallt, ich war einfach nur gerne mit ihm unterwegs. Das mag an meinem Borderline liegen, ich habe keine Ahnung, ich weiß nur, dass ich das Gefühl habe, immer mit einem sehr offenen, und kaum geschützten Herzen durch die Welt zu laufen. Es gab dazu mal ein Gespräch mit meinem damaligen Therapeuten, ich war damals mit meinem Mann sehr glücklich und hatte wahnsinnig Angst, mich in jemand anderen zu verlieben. Ich fühlte mich meinen Gefühlen ausgeliefert und wollte nicht, dass sich meine Beziehungssituation ändert oder verkompliziert. Mein Therapeut erklärte mir, dass es neben der Gefühls- eben noch die Entscheidungsebene gibt. Ich entscheide, ob ich dem Gefühl nachgebe, ich bin durchaus in der Lage, mich durch zum Beispiel weniger Kontakt und mehr Abstand zu diesem Menschen bewusst ein Stück weit zu ent-lieben. Und so sehe ich das mit der Polyamorie. Ich verknalle mich immer wieder, meistens sehr heftig, aber wie es danach weitergeht entscheide ich. Und ich entscheide mich manchmal dafür, manchmal dagegen. Aber ich kann mir vorstellen, dass es für monogam lebende Menschen, die auch so fühlen, nicht schön ist, diese Entscheidungsmöglichkeit gar nicht zu haben.
Gleichzeitig beneide ich monogam fühlende Menschen. Einfach weil Gefühle für mich Arbeit sind. Innige Gefühle zu mehr Menschen sind mehr Arbeit. Und ich hätte es gerne einfacher. Weniger anstrengend, ruhiger. Das bringe ich mit dem Bild einer monogamen Beziehung in Verbindung, bei mir sind das diese “Warum hab ich nicht eine Doppelhaushälfte, einen gut verdienenden Mann, Hund und Katze”-Momente. Also pures Klischee und unrealistischer Wunschtraum. Das erinnert mich immer an diese Unterhaltungen zum Thema “Funktioniert Polyamorie denn?” – “…funktioniert denn Monogamie…?” Kchchch. Also ich beneide monogam fühlende Menschen, weil es mir einfacher erscheint. Aber ich funktioniere eben nicht so. Ich verbringe einen Abend mit meiner Partnerin und einem anderen Paar auf einer Fetisch-Party und bin danach tagelang in den Blick des männlichen Parts dieses Paares verknallt. Und ich finde es schön, offen mit allen darüber reden zu können und die Option zu haben, es vielleicht einfach mal auszuprobieren. Dafür zahle ich eben den Preis und kämpfe mit mehr Gefühlen. Aber ich lerne durch jeden Kampf und werde besser.
Rein praktisch heißt Polyamorie viel reden und Micromanagement. Bisher sieht es so aus: Twin und ich leben zusammen, Twin hat aber auch noch einen langjährigen Partner, den sie in erster Linie am Wochenende sieht. Ich bin die “Neue” in der Konstellation. Wir führen einen gemeinsamen Kalender und klären Termine. Wir teilen die Wochenenden auf. Planen Veranstaltungen entsprechend. Wir lernen. Zum Beispiel: Ist es clever auf reine Spielpartys zu dritt zu gehen? Da steht dann Twin zwischen ihren beiden Partnern und muss beide bespaßen, das ist Druck und Stress. Als Neue tendiere ich dazu, mich erst zurückzunehmen, schmolle aber danach gerne frustriert. Also schaue ich mich vorher um, frage meine Freundschaft Plus oder suche mir einen Mitspieler für diesen Abend, damit wir diese Emotionen direkt etwas ausbremsen. Auf Partys mit vielen Freunden, Essen und Tanz ist es dagegen wesentlich entspannter, da findet man immer einen Gesprächspartner oder etwas bzw. jemanden zum Knabbern. Wir lernen zum Beispiel auch, dass es dem Dreierbund gut tut, Zeit zu dritt zu verbringen, mit gutem Essen und (manchmal) guten Filmen. Ich bin kein sehr körperlicher Mensch und gehe nicht von mir auf anderen zu, daher war es mir anfangs wirklich immer wieder Hilfe und Bestätigung, wenn sie mich im Beisein ihres Partner geplüscht oder geküsst hat. Das war jedes mal ein “Es ist ok für uns, es ist richtig.” Ich brauchte diese Bestätigung, nicht nur Beiwerk zu sein, solange er da ist (Twin sieht uns btw als gleichberechtigt, was mir einfach schwer fällt. Ich bin da anders, er war zuerst da, sein Handtuch lag zuerst auf ihr, um es mal so auszudrücken.) Und so wurde ich mit der Zeit lockerer und entspannter und fühlte mich wirklich als Teil des Ganzen.
Ich wurde nach Einsteigertipps gefragt. Für Polybeziehungen gilt das, was für jede Beziehung gilt: Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden. Wenn ihr das Thema angehen wollt, findet raus, was für euch passt. Wo eure Grenzen liegen. Lest euch durchs Netz, es gibt gute Ratgeber, unendlich viele Webseiten, so viele Menschen, die dazu etwas sagen können. Redet mit ihnen und später mit euren Partnern. Viel. Über die guten Gefühle und vor allem die schlechten. Non-Monogamie hat unendlich viele Gesichter, Polyamorie als Teilaspekt davon hat so fucking viele Facetten wie es Menschen gibt.
Meiner Erfahrung nach ist nach kurzer Zeit das große Thema nicht der Sex, auch wenn es meist das ist, was wohl vielen monogam lebenden Menschen in den Sinn kommt. Geil, vögeln mit anderen, einfach so. Ja, das ist nett. Aber es gibt da diese Gefühlsebene, und die ist so viel tiefer. Vielleicht liegt es an mir, ich bin kein besonders sexueller Mensch, ich kann auch Monate und Jahre ohne, für mich sind die Schwierigkeiten immer die Emotionen.
Wie viel möchtet ihr wissen vom Leben des Partners? Liegt ihr neben ihm im Bett und hört gebannt zu, was der andere Mensch von seinem Wochenende erzählt oder reichen die Eckpunkte? Seid ihr bereit, die seelischen Verwerfungen des anderen aufzufangen, den Drop nach einer Zeit mit jemand anderem zum Beispiel? Den Schmerz einer Trennung oder das berauschte Glück, wenn da jemand frisch verknallt ist? Wo gehe ich mit, fange auf, darf ich eine Meinung zu Dingen haben, die andere Beziehungen betreffen, wo ist in dieser Konstellation mein Platz? Den gilt es zu finden. Und weil wir alle sehr verschieden sind und es für nicht-normale 1 on 1 eheliche oder zumindest eheähnliche Konstrukte keine gesellschaftlichen Vorlagen gibt, schweben wir alle in einem sehr leeren Raum, den wir uns selbst erst erschließen und befestigen müssen, jeder auf seine Art und nach seinem Gefühl von “für mich richtig”.
Dabei gibt es Druck von innen und außen, wie will ich leben, will ich mir Gedanken darüber machen, was meine Nachbarn/Eltern/Freunde denken, wie will ich mit Dingen umgehen, die ganz klassisch Zweierbeziehungen vorbehalten sind, kauft man dann überhaupt gemeinsam ein Haus? Oder bleibt man im Grunde eine kleine Insel, weil man zwar viele Nachbarinseln hat, aber je nach Konzept eben keine feste Brücke zu einer bestimmten anderen. Und Kinder sind ein ganz schwieriges Thema. Ich möchte keine Kinder. Und würde in einem Polykonstrukt auch keine Kinder großziehen. Das hat vor allem damit zu tun, dass ich nicht glaube, dass die Welt schon reif dafür ist. Klar, so wird die Welt auch nicht reif dafür, irgendwer muss ja den Anfang machen, aber ich habe das “Glück”, dass ich sowieso keine Kinder möchte. Daher muss ich mir die Frage gar nicht so intensiv stellen. Ich habe aber die Hoffnung, dass sich in der Welt an dieser Stelle ein wenig etwas ändern wird.
Ein Nachtrag:
Ich glaube, dass polyamore Beziehungen momentan ein ziemliches Trend-Thema sind. Trends muss man nicht mitgehen. Wenn Du poly sein möchtest, es aber nicht fühlst, ist es keine Schande, es einfach nicht zu sein. Versuche es, aber eventuell ist das einfach nicht Dein Ding. Bevor Du Dich in ein Beziehungsgeflecht biegst, das nicht passt, suche Dir Menschen, eine Umgebung, die zu Dir passt. Sei nicht unehrlich poly, nur damit Du jemanden an Deiner Seite hast. Sei nicht unehrlich poly, weil man das jetzt eben ist oder weil es eventuell Dein Partner (im BDSM gibt es ja durchaus Machtgefälle und Dinge, die Sub eben akzeptieren muss laut Dom) es beschließt. Pass auf Dich auf. Das ist die oberste Maxime.
Sollten sich noch weitere Fragen ergeben, gerne raus damit =)
Und ich möchte nochmal betonen, das hier ist meine sehr persönliche Sicht. Das ist keine Vorlage für irgendwen anders, es ist auch kein Angriff auf andere Lebensweisen.
Danke, das ist ein sehr offener und schöner Einblick. Manche Monogamen sind monogam, weil sie dieses Ding mit den Gefühlen haben, das zur No. One und zur interessanten, anziehenden No 2. Und Ängste, so wie du.
Danke, dass du das geteilt hast.